Lebenslauf....

 

 

 

 

 

Sonst was....

 

 

 

 

 

 

...der Versuch einige Jahre und einige Begebenheiten und einige Situationen aufzuzeichnen um eine Erklärung für den derzeitigen Zustand zu finden…

Schon zu Beginn könnte ich mit guten Gewissen und mit tiefer Dankbarkeit abschließend feststellen, dass es mir gut gegangen ist.

 

 

 

 

 

 

Auch dann, wenn es mir eigentlich nicht gut gegangen ist, ist es mir gut gegangen, weil mir die Lästigkeiten aus Unebenheiten und Neid und Missgunst mehr oder weniger egal waren und sind und hoffentlich auch sein werden - eben weil es mir gut ging und dadurch bedingt, eben immer noch gut geht und sicherlich auch in Zukunft..

 

 

 

 

 

Mama kam mit mir bei Schneefall nach hause. März 1958. Und ab da an gings mir gut - denn ich war ein ganz besonders reicher. Reich an Zuwendung und Geduld und Liebe - und vielen alten Tanten und Onkeln....

 

 

 

 

 

.....und einer noch viel älteren Urgroßmutter, einer Omama, einem Opapa einer jüngeren Tante Mizzi und einer etwas alten Mizzi Tant’, wie es sich eben gehört… und natürlich Mama die überhaupt über allem war… Papa war einer jener Papas von seinerzeit, die ständig beschäftigt waren - dass er anlässlich meiner Geburt einer der ersten - oder überhaupt der erste Freigänger der Republik war, erfuhr ich erst später...

 

 

 

 

 

man war sich nie sicher - entweder war es der Anstaltspfarrer, der sich für ihn verwendet hatte - weil er perfekt als Ministrant die lateinische Messe beherrschte oder eine Finte des Staatsanwaltes, um ihn bezüglich des nicht unschweren Eisenbahndiebstahls gesprächig zu machen. Das Haus meiner Eltern galt irgendwie als stattlich und groß - beherbergte jedoch uns drei und die Urgroßmutter und die “Holla” -

 

 

 

 

so nannte ich die kroatische Großmutter - die Mutter meines Vaters. Und gelegentlich auch den Matzi-Onkel, meinen Lieblings(Groß)Onkel, der die spannendsten Geschichten zu erzählen wusste, von Feldzügen und Zeppelins und Indianerangriffen… so gut, dass aus der benachbarten Siedlung oft zwei Dutzend junge Zuhörer im Garten saßen, sogar solche, die an der dritten oder vierten Zigarette ihres Lebens zu ziehen vergaßen. Ich war ein Magnat - beinahe jedes männliche Familienmitglied besaß die Gabe aus einer vergammelten Latte mit ein paar Hobelzügen das eleganteste Schwert zu zaubern… Es gab auch Kasperlköpfe aus Holz… die im geheimen genutzt wurden… und Mama und Oma konnten stundenlang vom goldenen Engelshaar und fliegenden Kutschen und Osterhasen und Rapunzeln und Zwergen und vom Rübezahl und vom tapferen Schneiderlein erzählen.

 

 

 

 

Und so ganz zwischendurch bekam ich meine ersten Wasserfarben - keine Deck- und schon gar keine Aquarellfarben... winzige Näpfchen... Keinen Kasten... Rot, grün, gelb und blau - wobei ich glaube, dass das grüne Napfchen reiner Luxus war - und ein Haarpinselchen. Die Näpfchen klebte Mama auf einen Karton... Ich vermute, bei den Farben handelte es sich um ein Anerkennungsgeschenk wegen tapferen Verhaltens während der drei Tage Hainburg aufgrund der Mandelentfernung. Die Farben waren nicht so besonders - jedoch der Malkurs durch Mama war einfach leinwand. Sie war eine Verfechterin des “sauberen” Malens - auf dem Papier, wie auch am Arbeitsplatz - aus dem ist eigentlich nie was geworden… auch ihre unglaubliche Geduld mit drei Farben zu arbeiten und mit gekonnten Mischen das gesamte Farbspektrum abzudecken, konnte sie mir nicht vermitteln… Es war das persönliche goldene Zeitalter. Nie endend. Einen Sonntag gabs Hasen - das machte Papa so unglaublich schnell, dass dem Häschen der Verlust von Fell und Innereien wahrscheinlich gar nicht auffiel... an den ungeraden Sonntagen gabs dann Hendl... oftmals zähe, fettige Veteraninnen jahrelangen Eierlegens

 

 

 

 

 

das Ausnehmen eine typische Frauenarbeit... eben für Mama... furchtbar der Gestank - beim sogenannten “Abbrennen” in der Waschküche - ein paar Male durfte ich die Hacke auf den über den Hackstock gespannten Hals der Henne fallen lassen, dazumal interessant und lustig - kopflose Zweibeiner scheinbar zielstrebig... und zweimal im Jahr gabs Schnitzel und zu Sylvester in einer hohen rot emaillierten Pfanne grausliches Sulz... das, um zu stocken, auf der Veranda verweilen musste... Sehr praktisch - im großen Haus stand in der ständig übervölkerten Küche der Kuchlofen und das war es auch schon… an manchen Feiertagen wurde das Gußeisenungetüm im Wohnzimmer knapp vor dem Eintreffen der Besucher angeheizt…. Die Kälte im Haus war nicht unpraktisch… sie ersetzte den im Sommer so fehlenden Kühlschrank… was für die Sulz gut war, war fürs Klo schlecht… fror es doch regelmäßig so ab Mitte Jänner für mindestens zwei Wochen ein...

 

 

 

 

Die ersten Jahre in der Schule waren irgendwie... unauffällig... weil es eben passte... Papa war in erster Linie die Schrift seines Sohnes wichtig und das Wissen in Religion (Ein Umstand der mich etliche Jahre zum Hinterfragen anregte - war Papa doch am Weissen Meer auf der Parteischule - Papa war eben von der Richtigkeit der christlichen wie auch der kommunistischen Idee überzeugt)… Mama schaute eben, dass die Einbände passten, Löschblätter - vor allem saubere - sorgfältig im Heft eingelegt waren, Zierleiste, gespitzte Bleistifte und Buntstifte und ganz wichtig war die Reservepatrone in der Pelikan-Füllfeder… Papa band den jährlichen Adventkranz, Mama schmückte ihn mit Schleifen und Kerzen und Hansi war glücklich, am Sonntag brachte ein gewisser Herr Schrammel die “Volkstimme“, später brachte sie ein Freund der Familie, Niki Welkos, direkt aus der Druckerei täglich vorbei - Der Inhalt wurde oftmals diskutiert… sehr leise - Mama und ich wurden meist rausgeschickt. In der ersten Volksschule gabs einen Ausflug mit dem legendären Bus der Firma Sachs zur Bärenhöhle… eine unglaublich aufregende Angelegenheit, in der zweiten ging es dem reiferen Alter entsprechend, schon nach Schönbrunn und in der dritten einmal nach Kreuzenstein und einmal auf den Braunsberg, was beeindruckend war und für Monate Gesprächsstoff lieferte. Wie ich schon feststellte, waren die ersten Schuljahre unauffällig -

 

 

 

 

der Herr Volksschuldirektor Stadlmayer war zusätzlich der Klassenchef in der zweiten… so als zweites Standbein sozusagen… damals ging das noch… besonders bei verdienten... (dazu vielleicht später) - na gut - er war selten unterrichtend vorhanden, schrieb er doch nebenberuflich - vielleicht als drittes Standbein, für den “Grenzboten” - roch nach seinem Absenzen sehr oft wie mein bereits erwähnter Matzi Onkel - da Rudolf Stadlmayer Nichtraucher war - nur nach Alkohol. Der Nichtraucher Stadlmayer legte Wert auf die deutliche Aussprache von “au” und “eu” und “ei” (nach diesen langen Abwesenheiten - alkoholstinkend ließ er die staunende Klassenbelegschaft gleich einem brunftigen Hirsch der Zwielaute lauschen) Auch legte er Wert auf irgendwelche wichtigen Häckchen und Bögchen bei diesem oder jenen Buchstaben und einmal hat er durch die Reihen den Rest einer Sprenggranate durchreichen lassen - sie stammte von yugoslawischen Partisanen, die damit - eben mit dieser - irgendwelche Gleise sprengten… (was er dazu sonst noch gesagt hat, ist mir entfallen) - wie gesagt - die ersten Jahre waren eher unauffällig. Die dritte Schulstufe brachte mir und meiner Klasse die Frau Hertha Krickl - möglicherweise ohne “h”. Ein uraltes, hageres, grau-braun-gedämpft violett gekleidetes, elendslanges Weiblein… Wir zählten damals acht Lenze und zu ihrem Geburtstag durften ihre Günstlinge im “Namen der Klasse” eben gratulieren und der ausgesprochen kluge Ernsti L. errechnete blitzschnell, dass sie ja sieben mal so alt wie die ihr Anvertrauten war… irgendwie unauffällig die Sache… gelegentlich schlug sie - oftmals vermerkte sie die eine oder andere Beleidigung in den wirklich sauberen Heften...

 

 

 

 

- aber das war eben so... bei den “Leibesübungen” trat sie mit Trillerpfeife vor die Front der Angetretenen und hatte ihre Freude an den wieselschnellen Knabenkörpern… auch speziell mit mir hatte sie ihre Freude... Einzelunterricht vor angetretener Mannschaft... Es war eine Qual. Irgendwas scheint sie gestört zu haben. Und ein Kindlein leidet gar unter unverdienter Knute. (Da gabs einen Großonkel mit der Bezeichnung “Pepi Onkel” - dem die “Hedwichtant” gestorben war und aus lauter Gram verschenkte er Gegenstände, die an die Verblichene erinnerten. Ich bekam ein Röhrenradio, einen dunkelgrünen Glasobelisken (er stand auf der “Psich” (?)) und die “Welt von A-Z” Ausgabe 1956, die ich mangels eines Fernsehers mehr oder weniger auswendig runterbeten konnte. Die Unauffälligkeiten meines jungen Lebens endeten abrupt im Herbst des Schuljahres 67/68. Das letzte erfreuliche war eine Klassenzusammenlegung. Und weil in jeder Klasse ein rothaariger war - zumindest damals - und ein schlechtsehender - und ein Blader - das war in meinem Falle ich selbst, da hatte ich eben das Glück, im Zuge dieser Klassenzusammenlegung einen zweiten Bladen in die Klasse zu bekommen. Es handelte sich um einen gewissen Johann P. aus S. An einem verregneten Herbsttag gab uns die Hertha - mit oder ohne zweitem “h” irgendwelche Rechenhefte zurück und mein Zwilling aus S. musste zur Übernahme seines Heftes aufstehen und bekam so viele Watschen mit dem Heft, dass die Seiten flogen und ich mich eines Grinsens nicht erwehren konnte. Ich war der drittübernächste - musste ebenfalls zur Übernahme aufstehen und bekam ebenso Watschen - ebenso heftig weil irgendwo der Abstand nicht passte oder ein falsches Beispiel gerechnet worden war. In der Nacht kotzte ich ins Bett und konnte mich nicht mehr so richtig bewegen und ich kam mit Gehirnhautentzündung ins Wilhelminenspital, Pavillion vierzehn. Es waren sicherlich nicht die Watschn der Frau Krickl - damals “ging so ein Virus um”- aber vorbeugend ist sie sich bei Mama wegen der Watschn entschuldigen gegangen. Wir waren damals zwanzig Verseuchte in einem Saal und es gab ein Klo und das war in einem Raum, indem auch eine Badewanne stand und jede Menge Schmutzwäsche herumlag. Dort gab es so Nonnen. Die eine war die Schwester Oberin - eine Jesuitin wahrscheinlich - eine sehr scharfe, die ständig mich auswählte, um der Messe beizuwohnen, die der Pfarrer für eine Frau in der Eisernen Lunge las... Was mich fertig machte, war das leere Zimmer mit einem Waschbecken und einem Kruzifix an der Wand und eben diesem ständig pumpenden Geräusch dieser Maschine und das blasse Gesicht dieser Frau und die dünnen pechschwarzen Haare und diese Fenster in der Stahldose, um zu sehen, wie der Stoffwechsel... Und diese Frau war damals schon neun Jahre in dieser Dose.. Mein ganzes Leben lang eigentlich... Ob sich die Frau beim lieben Gott mehr für die Eiserne Lunge oder ihren Gesundheitszustand bedankte, konnte ich leider nie erfahren... Und dann war die junge Nonne - vielleicht grauslich - vielleicht hübsch - auf jeden Fall sehr interessant... sie war so von nobler Blässe und der weisse Schleier... und hatte ein Gesicht, rund wie eine Matrioschka und einen vollen und roten und sinnlichen Mund.

 

 

 

 

...ich schreibe da von meinen Heften...

 

 

Sie hatte bei der Blutabnahme zu assistieren und der winzige, vielleicht kongolesische Arzt stach schon das vierte Mal und nix passierte und dann musste ich den Arm eine halbe Stunde in das heiße Waschbecken und dann stach er wieder und wieder und die blasse Geistlichkeit lehnte mit den verschränkten Armen auf mir und meiner Bahre sprach anerkennende Worte wegen des Nichtzuckens meiner Wimpern und lächelte irgendwie seltsam. Nachdem ich siebzehn Tage unter Quarantäne runtergebogen hatte, durfte ich baden und am achtzehnten Tag den Seuchenpavillion verlassen. Nach einer Woche Hauskrankenpflege trat wiederum Herta K. in mein gesundetes Leben. Unauffälliges Schülerdasein bestimmte die endlosen Vormittage. Es passte sozusagen, bis zu dem Tag, an dem der kleine rote VW-Bus, der die A-Schicht der Petrochemie in die Arbeit brachte, von einem alten GMC des Österreichischen Bundesheeres frontal abschoß...

 

 

 

 

das langsame Sterben meines Vaters begann an diesem nebeligen Herbsttag. Die Sonn- und Feiertage der nächsten 19 Monate waren belegt mit den endlosen Fahrten ins Unfallkrankenhaus Meidling und nach rund sieben Monaten vorbei am Karl Marx Hof nach Stollhof ins Rehabilitationszentrum bei Klosterneuburg. Die Freizeit bestand künftig aus Urinflaschen und stinkenden Leibschüsseln, chromstählernen Bettgestellen und chromblitzenden Nägeln, die Knöchel und Oberschenkel durchbohrt mit Gewichten versehen, zermerscherte Knochen wieder irgendwie in eine vernünftige Lage ziehen sollten - in Meidling waren die geflickten Körper unter Decken verborgen... in Stollhof hinkten und fuhren in Krankenstühlen und schleppten sich Amputierte durch die Gänge... Mama fuhr zusätzlich noch Dienstags und Donnerstags zu Papa... Das Zug fahren war teuer... soziale Absicherung war die Bezeichnung für die finanzielle Bewältigung einer Lungenentzündung bestenfalls... aber nicht für die Ausheilung eines Haufen zerfetzten Fleisches... Es war eine Scheisszeit. Meine Mutter ließ mich die Sorgen und Nöte nie wirklich spüren - Unterstützung von irgendwem bekam sie eigentlich nicht... auf eine Klagsandrohung wegen der ausstehenden Kirchensteuer kann ich mich erinnern - Kirchenbeitrag... pardon... An den Dienstagen und Donnerstagen passte mein Großvater - mütterlicherseits - auf mich auf.

 

 

 

 

 

Er war ein unglaublich starker Mann - sehr beeindruckend für mich damals - weil er eben doch schon alt war und “neunzehner Klampfen” übers Knie biegen konnte - stundenlang Holz schneiden konnte und die Säge feilte und ständig aus irgendwelchen Säbeln und Bajonetten Küchenmesser bastelte und einmal mit einem verrosteten kolbenlosen Etwas im Hendlstall ein Wiesel erschoss. Mit Hingabe allerdings Harmonika spielte und dazu Wienerlieder sang, was mich jedes Mal peinlich berührte. Trotz alledem ging das Leben für den Schüler Koosz weiter. Frau Krickel lehrte uns dieses und jenes und der Vorteil bei der Frau Krickel war ihre Liebe zur Malerei… sie malte nicht… sie ließ liebend gerne ihre Anvertrauten malen… konnte sie doch in aller Ruhe ihre Beleidigungen in die zu bewertenden Hefte kritzeln… Eines Tages ließ sie wieder einmal die Kreativutensilien auf die Bank räumen und teilte wie immer das Thema den interessiert Lauschenden mit: “Ich im Fesselballon über meinem Heimatstädtchen.” Ein gutes Thema für einen Besitzer der “Welt von A-Z”. Die Montgolfiere. Ein Ballon mit einem Stern und an der Seite anstelle der Tricolore das vertraut eingetrichterte rot-weiß-rot. Wenn ich so an den Korb zurückdenke… wirklich echt ist er geworden. Wie ein echtes Weidengeflecht. In ocker. Mit dunkelbraunen und hellbraunen Schatten, die Stricke gelb und hellbraun… leider mit Ölkreide, das lag mir nie so richtig - weil immer die einzelnen Striche zu sichtbar blieben. Der Ballon wurde knallrot und ein vierstrahliger grüner Stern zierte das Fluggerät. Ich war zufrieden links unten der Kirchturm und die roten Dächer… ein Storchennest… ich war ganz zufrieden… vielleicht hab ich den Kopf schief gehalten und das Werk betrachtet… …”was ist denn das???”

 

 

 

 

ertönte fragend und drohend und aus dem Schaffen herausreißend die Stimme der hageren, faltigen Pädagogin im vielleicht führerkackbraunen Strickkleid. Wie mir so geschah - es kam alles auf einmal - an den Haaren hochgezogen und eine harte Faust schlug mich ins Gesicht und mit der flachen Hand dreimal und viermal und die Faust und Papierfetzen schneiten durch die verbrauchte Luft des Klassenzimmers. Mal war es wie in Zeitlupe, mal ging es ganz schnell und hörte trotzdem nicht auf…. das hagere Weiblein brüllte, dass das verboten sei… Parteiwerbung in der Schule… ich soll mich hüten jemals wieder so was zu zeichnen und in Zukunft…. und überhaupt… und und und Entweder passierte dies an einem Dienstag oder einem Donnertag. Jedenfalls hat mich Opapa von der Schule abgeholt und gefragt, wer mich denn so abgedroschen hat… wahrscheinlich hab ich wie ein Preisboxer ausgeschaut. “Die Lehrerin…” “Des gibt’s doch ned - wieso…?” - Meine Opapa glaubte mir nicht - weil ich es nicht wusste. Ich wusste einfach nicht, wieso sie mich so verdroschen hatte. Er wärmte uns die vorbereiteten Krautfleckerl und nach den Nachrichten konnten wir genau den Vorfall besprechen. Großvater vermutete, ich hätte geschwätzt - welch Verbrechen! - Ich musste die Zeichnung für Opapa nochmals zu Papier bringen… Der Grund der Empörung war der Stern! Wirklich wahr und tatsächlich, es lag am Stern… Ich verstand die Welt nicht mehr… ein grüner vierstrahliger Stern auf einem knallroten Ballon! An diesem Nachmittag erfuhr ich, wie alles so war und ist und wahrscheinlich auch bleiben wird, weil es eben so ist, wie es ist. Also, im vierstrahligen Stern hat sie den fünfstrahligen gesehen, und das Rot des Ballons hat gereicht, den grünen Stern rot zu sehen - jedenfalls ist der rote Stern mit den fünf Strahlen das Zeichen der Kommunisten und die Kommunisten waren immer und ewig gegen die Nazis und von allen die allerstandhaftesten und Opapa war gegen den Krieg und hat eine Zweiundfünfziger in die Drehscheibe rollen lassen und deswegen haben ihn die Nazis für drei Jahre nach Dachau geschickt…

 

 

 

 

Familienname Gibiser Vorname Franz
Geburtsdatum 20.04.1904
Wohnort Bruck a. d. Leitha (NÖ)

Arbeiterbewegung
Der Hilfsarbeiter Franz Gibiser wurde am 8. 1. 1943 wegen Verdachts der kommunistischen Betätigung festgenommen. Er wurde Mitte April 1943 in das KZ Dachau überstellt und blieb dort bis zur Befreiung 1945 in Haft.
(Aus der Opferdatenbank des Dokumentationsarchives des österreichischen Widerstandes)

 

Opapa hat da von russischen Soldaten eine Geschichte erzählt, die war so unglaublich, die war damals schon wie Weihnachten… vielleicht schreib ich sie einmal auf… sogar meine Mutter hat mir diese Geschichte erzählt… ausführlicher, weil Opapa hat sich das meiste nicht gemerkt, wenn es nicht unbedingt beeindruckend und ganz wichtig war. Jedenfalls die Frau Krickl war irgendeine Wichtigkeit “im Schloss” auf der Kreisleitung und wie halt dann die rote Armee gekommen ist und die Frau Madl mit dem Leintuch vom Kirchturm Richtung Osten gewachelt hat… wie die Rote Armee gekommen ist, hat man der so wichtigen Frau Krickl wieder eine wichtige Tätigkeit zukommen lassen… sie war für mehrere Monate für die Sauberkeit des Hauptplatzes zuständig. Und aus diesem Grund war sie auf jede Art von Sternen wahrscheinlich nicht gut zu sprechen. Und weil sie die Familie kannte und Opapa ein sehr bekannter Herr in Bruck war, wusste sie halt auch von der Gesinnung eines Teiles der Familie und irgendwie ist sie halt ausgezuckt und hat halt zugeschlagen und sich an mir gerächt für alles. Für den Verlust des Lebensraumes im Osten, für die vielen toten Soldaten - so dass für sie diesbezüglich nichts übergeblieben war, alle im Sande der Geschichte versickerten Hoffnungen und Träume… Wir haben Mama immer vom Bahnhof abgeholt, an diesem Tag sind wir früher aufgebrochen und sind über den Leithagürtel gegangen. Mit einem Zwischenstopp bei der Frau Krickl und deren Mutter. Die Damen bewohnten eines der Gründerzeithäuser. Opapa klingelte, die ganz alte Krickl öffnete, Opapa grüßte ganz freundlich und fragte ob das “Fräulein” Tochter vielleicht zu sprechen wäre. Die ganz alte Frau Krickl rief in das Dunkel des Bürgerhauses mit schmerzend heller Stimme: “Hert(h)a…!”…ein ebenso hohes gesungenes “jaaahaaa” klang von weit und mit Schlapfen und in einem weiten Hauskleid erschien meine Pädagogin. Und Opa begann so zu brüllen, dass ich mich vielleicht sogar ein bisschen angebrunzt habe, die zwei Weibleins sicher… Opapa brüllte sicher nicht wegen der Watschn - das hat man damals nicht so beredet - er brüllte wegen des Grundes der Watschn… und es hallte ganz grauslich im kalten Stiegenhaus des Gründerzeitbaues. Und er legte mir liebevoll die Hand auf die Schulter und noch liebevoller sagte er fast vorwurfsvoll: “…jetzt gemma owa…” - und die Sache war erledigt.

 

 

 

 

Am nächsten Tag hatten wir schon in der ersten Stunde zeichnen… ich bekam ein neues Blatt… und es erstrahlte ein fünfstrahliger Stern in goldgelb auf rotem Grund… Opa hat mir nämlich am Nachmittag gezeigt, wie man ohne abzusetzen einen sogenannten Sowjetstern zeichnen kann… und es funktionierte… und die Frau Krickl musste ob sie wollte oder nicht, freundlich lächeln. Natürlich lernte ich später noch dieses und jenes… von irgendwelchen indischen Strömen und von sibirischen die da und dorthin entwässern, wo “SOLL” und “HABEN” zu stehen haben - sogar die letzten Worte von Bundeskanzler Dollfuß waren notwendig und diese und jene Winkel und Zylinderstümpfe und sonstige Gebilde und dass man ab dem Lehrer bis zum Bezirkshauptmann mit einem lauten und deutlichen “Grüß Gott” zu grüßen habe und ebenso den Herrn Landeshauptmann… war dieser doch aus Trautmannsdorf und es könnte schon sein, dass dieser irgendwo gesehen werden könnte. Während der Sommerferien zwischen Volks-und Hauptschule, las ich Dimitri Furmanows “Tschapajew” - was mich für viele Jahre zum Kosaken machte. Zum roten Kosaken selbstverständlich. Eine Linienabweichung hatte ich zu verzeichnen zwischen dreizehn und vierzehn… es begann mit Mitbringseln für den dicken Hansi und zwar den Mitbrinseln einer etwas sehr sparsamen Freundin meiner Mutter - sie schenkte mir ihre Jugendbücher und schon nach wenigen Seiten wäre ich gerne der “rote Baron” persönlich gewesen… oder ein Udet oder der Held von Scapa Flow… und jede Menge an Landserheften erweckten eine gewisse Heldensehnsucht, die mit vierzehn von einem gewissen Bud Spencer abgelöst wurde - was wieder dahinführte, dass ich sehr gerne selber zugeschlagen hätte und ziemlich oft mit geröteten oder gebläuten Gesichtsteilen durch Bruck wandern mußte. Das Sturmgewehr 58 besteht, so glaube ich, aus einhundertacht Einzelteilen - wir mußten jedoch nur die Hauptgruppen wissen -

 

 

 

 

 

 

und ich war ein begeisterter Schütze (mit stillen Stolz möchte ich hier festhalten, dass ein ziemlich guter Schütze war - für eine gewisse Zeit, war dieser Papierstreifen, der die Treffer anzeigte, wohl das allerwichtigste Dokument) nur die Schußrichtung hat mir nie so gefallen… die Sternträger erklärten immer wieder, die Bösen wären die mit diesem Stern… der vom Ballon… Der Stern hat mich auf jeden Fall geprägt. Zumindest die Farbe. Mitte der Siebziger war meine politische Heimat die Sozialdemokratie… natürlich mit verklärtem Blick… und unglaublich fanatisch und auf die Wirkung von Spruchbändern hoffend und die Enttäuschung war oftmals die Erkenntnis, das so mancher Genosse keiner war...

 

 

 

 

...und die Notwendigkeit der Revolution eine andere ist, als die von mir erträumte.

 

 

1990

2014