Ich, die Journaille


Wer nie ein Hemingway sein wollte, um aus dem vordersten Schützengraben vor Madrid berichten zu können, sollte besser mit einem Nagelzwicker ein Fußballfeld im regenreichen England auf Länge halten oder sich zumindest in regelmäßigen Abständen jeweils eine mit dem Gummihammer über die Murmel ziehen.

Ich besitze einen Nagelzwicker… bevorzuge jedoch bei meinen zwanzig zu behandelnden Horngebilden meistens die eine oder andere Feile… Stahl - Sand - Glas… je nachdem. Ich habe mich nie in einem aktiven Schützengraben aufhalten müssen, ich war auch nie in Madrid, ein Hemingway wäre ich gerne gewesen, auch wenn mir die Stunde bisweilen noch nie geschlagen hat. Und den Gummihammer musste ich mir nicht über die Murmel ziehen.



Von meiner Schreiberei war ich schon sehr früh überzeugt, weil der ehemalige Oberleutnant und zwischenzeitlich entnazifizierte und spätere Volksschuldirektor Stadlmayer Rudolf einen Aufsatz von mir der desinteressierten Klasse vortrug – danach konnte ich viele Jahre kein einziges Ruhmesblatt erschreiben – obwohl ich es sehr gut verstand, die eine oder andere geeignete Zeile im noch so dicken Wälzer zu finden und mit der einen oder anderen kleinen Änderung geschickt in meinen Text einzupassen.

Natürlich war nicht jeder der Bewertenden mit meinem Geschmack einverstanden – so fand ich ein „heranziehendes Gewitter“ in einer Novellensammlung mit Adalbert Stifters „Bunten Steinen“… ebenso die Landung eines Hubschraubers, ein Bericht aus dem „Neue Welt“ Jahrbuch 1958 (?) fand beim jungen Germanisten mit Schnellsiederpädak keine Hoch- nicht einmal Beachtung.

Als Jungsozialist gelang es mir vor vielen Jahren ein für damalige Zeiten aufrührerisches Flugblatt mit sehr viel Text und zwei kleinen Zeichnungen zu kreieren, es gelang mir vor allem, einige Gremien von der Richtigkeit und Wichtigkeit so eines Blattes zu überzeugen… innerhalb einer Woche und das soll was heißen… das in ganz Niederösterreich verteilt werden sollte. Es ging da um eine Umfrage der Landesregierung (total und ganz unter der Führung des Landeshauptmannes , „UNTER“ der Führung des Landeshauptmannes, der damals noch Andreas Maurer sich nannte, ein Kaiser – und trotzdem noch weit vom derzeitigen Landeserwin entfernt) den Berufsschulen und wir erkannten da Gestapomethoden und ich schrieb von „Gesinnungsschnüffelei“ und mein damaliger Schutzpatron der Herr Arbeiterkammerpräsident Josef Hesoun und für mich der heilige Barbara, war ganz angetan von diesem Flugblatt... und bis auf Bruck ist es in Niederösterreich verteilt worden.

Und so fand ich nicht wirklich eine politische Heimat – der Traum vom allumfassenden Linksblock blieb ein Traum – den Klassenbewussten, den Mutigen gabs leider nur bei Sergej Eisenstein – Märchen und deren Figuren – und es passierte dieses und jenes und irgendwann erlebte ich diese Brucker Empörung, die ein geplantes Flüchtlingslager in Kaisersteinbruch auslöste. Jeder wird diese rumänischen Tage in Bruck/Bruckneudorf anders erlebt haben, anders in Erinnerung haben. Für mich war es mehr als widerlich – es war unbeschreiblich kotzig und unwirklich und grauslich… diese Aufrufe und Durchsagen mittels Megaphon und darüber der Hubschrauber und alte Weiber, die schrill ihre Vergewaltigungsängste verkündeten und ehemaliger und neuer Volkssturm der nach „so an klaanan“ grunzt und in rascher Folge mit dem Schießfinger den nichtvorhandenen Karabiner auf den unsichtbaren Fremden und überhaupt jeden Feind abfeuert…. und die um Wählergunst buhlenden Parteigranden, denen es nachträglich in erster Linie darum gegangen ist, dass man die Rumänen nicht in ein Ghetto sperrt…

In den Siebzigern gab es noch den einen oder anderen Schutzbündler… natürlich gab es auch noch die Lebensraumeroberer, die Trommler, die Fahnenschwinger, die Händchenstrecker… und allesamt waren in irgendwelchen Parteien beheimatet… sogar in der KP fand sind der eine oder andere später wieder… das Potential ist eben vorhanden… so wie eben die Abstimmung seinerzeit ausgegangen ist – zwar ein bisschen weniger, aber das nur unwesentlich…. Traurig… als Kindchen dachte ich, jeder Rote war oder ist ein Partisane oder Schutzbündler oder einer, der zumindest in der Jackentasche die Faust zum Widerstand ballt…. Weit gefehlt… die Ehemaligen schleichen hinter der Monstranz und die Ehemaligen schleichen hinter der roten Fahne einher… im gleichen Schritt… einfach widerlich!

Ich schrieb damals einen Leserbrief an die „Schwechater Rundschau für Schwechat, Bruck und Hainburg“ und wurde vom damaligen Chefredakteur engagiert, um als „Brucker Splitterer“ wöchentlich einen Fünfzigzeiler mit je dreißig Zeichen abzugeben.



Mit dem Zeichnen habe ich wieder bei der Rundschau angefangen… erst einmal mit so ganz winzigen Zeichnungen… ein bisserl auf Cartoon und irgendwann hat sie der eine oder andere witzig gefunden und ich hab mich dann getraut… war eine lustige Sache. Schreiben durfte man eigentlich alles – bei den Karikaturen war sehr oft der eine oder andere mehr als angefressen.

Der Herr Helmreich hat sich immer darüber gefreut… angeblich… zumindest hat er es mir so gesagt… ich glaub nachträglich… wie er längst aus der Kommunalpolitik ausgeschieden war. Angeblich hat er sie gesammelt… ich hab ihm vor einiger Zeit einige Originale aus der Golfkriegszeit geschenkt – weil er sie hinter Glas hat… vielleicht wollte er mir nur eine Freude machen.

Von den anderen portraitierten Herrschaften kann ich nicht viel sagen, aber ich glaub, sie waren allesamt angefressen… und sind es auch heute noch… wie es halt so ist… man – die Portraitierten und ich – muss damit halt leben. „Der dritte Mann“ war überhaupt sehr angefressen – aber es war eines meiner allerbesten Karikaturen. Damals gabs ja noch nicht diese PC und dieses elektronische Drumherum. Also dieser dritte Mann war so angefressen… ich hatte damals ein original Waffenrad und das stand eben immer am Bahnhof und eines Tages war der Reifen durchgeschnitten, am nächsten Tag wieder und am dritten Tag war das Schloss der Absperrkette verklebt.

Ich dann eben heimgegangen und am nächsten Tag bin ich in der früh mit zwei Franzosen wieder rauf zum Bahnhof und wollte eben am Nachmittag nach der Hacke den Schaden reparieren. Und wie ich so reparierend auf den Knien ums Rad herumrutsche, hat sich wie aus dem Nichts der „dritte Mann" aufgepflanzt… drohend und mächtig und ich vor ihm auf den Knien – zwar nicht so ein Kessel wie jetzt – aber trotzdem wie eine Schildkröte am Rücken. Der „dritte Mann“ hat die zwei mächtigen Franzosen aber nicht gesehen und weil er gar so fuchtelte, schützte ich den Kopf mit den Armen und Händen, in denen ich die zwei Franzosen hatte. Er muss erschrocken sein - wie ein leiser Eierfurz ist er verschwunden – nie wieder habe ich ihn gesehen – obwohl er angeblich immer noch in Bruck wohnt… weil ihn eigentlich alle angeschissen haben, sogar die, die von ihm profitierten… (irgendwann werde ich der Geschichte vom „dritten Mann" nachgehen und hier berichten.)

Leider ist mir ein großer Teil meiner „Rundschau“-Karikaturen verloren gegangen… ich hab sie einem guten Freund geborgt und plötzlich waren fünf sechzig-Blatt Hefte, vollgeklebt mit Artikeln und Photos und Zeichnungen verschwunden… aber ein paar davon konnte ich retten, weil ich sie damals beim Herborgen irgendwo selbst verlegt hatte. Tut mir eigentlich leid um die vielen Kritzeleien… andererseits ist es ja auch wiederum egal. Sie haben in Wirklichkeit doch nichts bewirkt. Die Schreiberei bewirkt nie was eigentlich. Wenn ich so zurückdenk, wie oft war der oder die angefressen, wie oft musste der oder die schleimen und freundlich grinsen, um auf nette Zeilen hoffen zu können… kotzig. In Wirklichkeit hat ja kaum jemanden die politische Schreiberei interessiert.

Interessiert waren die paar Roten, die paar Schwarzen und die paar Grünen – eben die paar Kommunalpolitiker und wir, die Schreiberlinge und das wars dann auch schon. Ich bin oft nächtelang gesessen und hab immer wieder eine Lichalnase beispielsweise probiert und irgendwann ist sie gelungen und Sonntag hab ich Text und Bildmaterial und Zeichnung abgeliefert und am Mittwoch hab ich mir in aller Frühe am Bahnhof die Rundschau gekauft und auch andere…. Ich hab sie beobachtet… Bestenfalls wurde durchgeblättert und überblättert und wirklich jeder gab sich das Sportgeschehen des vergangenen Wochenendes.



Meine allerschönste und interessanteste und vor allem freieste Zeit als Angehöriger der schreibenden Zunft hatte ich beim Zentralorgan des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, bei der „Solidarität“. Es waren die letzten Jahre des Gewerkschaftssprechers Prof. Winfried Bruckner.

Nach einem ersten Gschichtl auf Probe bekam ich vom „Alten“ freie Fahrt – ich erbat mir die Arbeitsweltreportage für den Mittelteil der Monatsausgabe. Ich war mehr als stolz – einerseits war die „Soli“ schon seit immer ein Teil der Familie – wahrscheinlich nie wirklich gelesen – aber durchgeblättert ist sie immer geworden . Eine Nummer glich sehr der anderen – ich war stolz gemeinsam mit einem Rupert Gmoser in einer Zeitung zu schreiben.

„Freie Fahrt“ bedeutete für mich freie Themenwahl und vor allem keine Zensur – überhaupt keine. Natürlich wusste ich, dass die „Soli“ vom Inhalt eines Kampfblattes Lichtjahre entfernt war und heute viel mehr noch entfernt ist. Bruckner sagte beim Einstellungsgespräch am Ende nur: „ …owa sie wissen eh…“ – und ich habe mich all die Jahre daran gehalten und trotzdem gelang es mir, den einen oder anderen Herzschlag – der ja bekanntlich von links kommt – im einen oder anderen Satz unterzubringen. Satzteile, die mir Freude bereiteten, von den meisten gar nicht und von vielen eben überlesen wurde.

Bruckner war einer von den „Alten“ – Wahlkampfleiter der großen und für Österreich schwerwiegenden Wahlauseinandersetzungen der roten Siebziger – Bruckner war kein von irgendwo eingeflogener Werbetrommler, der sich bezüglich Frisur und Brille des Kandidaten den Kopf zerbrach, sondern einer der schaute, dass das gesagt wird, was Sache ist und vor allem die Kraft bringt, die Zustimmung im Land bringt, um die vertrockneten und verfaulten und verknöcherten Strukturen aufzuweichen, um die ewige Vorkriegssituation zu beenden. Nachträglich weiß jeder, dass auch ein Kreisky nur mit Wasser kochte und die Gefolgschaft zu einem großen Teil aus dem klein-bürgerlich-faschistoid-klerikalen Bodensatz einer Monarchie und einer entgleisten Republik stammte.

Meine Mutter war seinerzeit die Allereinzige, die Kritik an meiner Schreiberei üben durfte und sie war diesbezüglich mehr als objektiv und oft habe ich den einen oder anderen Artikel umgeschrieben, aus diesem Grund hat sie etliche erst im gedruckten Zustand vor die Brillen bekommen – einige überhaupt nicht. Wenn ihr dieses oder jenes gefallen hat, sagte sie, dass „der Papa sich darüber freuen würde…“ – die Steigerung war „…und der Opapa“ und die Krönung „…und erst da Matzi-Onkel…“. Alle drei waren vom Herzen her überzeugte Kommunisten und sind dafür in den Zellen Österreichs und der Ostmark eingesessen – Opapa sogar „draußen im Reich“ in Dachau. Meine Mutter war – so glaube ich - mehr rot als der Rest der Familie – aber sie war nicht so laut dabei und sie meinte immer, man könne das eleganter rüberbringen und vor allem vorleben. – Was aber – Mutter möge mir verzeihen – ein Schass ist – es kann schon sein, dass die feine Klinge feiner ist und viel mehr schmerzt – aber die feine Klinge sollte verstanden werden… und das ist bei einem Volk, das beispielsweise diversen Rundfunkanstalten auf Grund des Gebotenen Gewinne beschert, sehr schwer möglich…. manchmal lachte sie über meine Karakaturen und es war ihr mir gegenüber peinlich und manchmal schloss sie ihren lacher mit :“di werdns einmal noch abdreschn… recht gschiacht da daunn…“ – was aber nie wirklich eingetreten ist… wer hätte mich denn eigentlich abdreschen sollen, wollen… weswegen??..

Zurück zur „Soli“. Meine erste mehrseitige Reportage wollte ich einem großen Thema widmen. Eine Fahrt auf einem Donauschlepper. Rauhe Männer. Fernweh, Heimweh, ölverschmierte von Wind und Wetter gegerbte Gesichter, Bordelle an fernen Häfen, schwere Seilwinden, heimatlos, Hängematten, Schnaps und Machorka....

DDSG. Gute alte Zeit. Der Zentralbetriebsratsvorsitzende des Traditionsunternehmens versprach mir keinen Schlepperverband, das gibt’s schon lange nicht mehr. Heute fährt Kohle, Erz und Auto auf dem Schubschiffverband. Das Motorschiff mit den vorgespannten Pagen. Zwei mal zwei Pagen mit jeweils fünfundsiebzig Metern Länge. Eine mittlere Gasse eben. Und mit so einer Gasse soll ich mitfahren. Irgendwann im Herbst an einem Samstag ruft dann ein gewisser Kapitän Kern an, der mir sagt, dass er gerade aus dem Hafen Freudenau ausfährt und er mich bei der DDSG am Mexikoplatz mitnehmen will – ich soll ganz vorne, stromaufwärts beim letzten Poller, auf ihn warten und ich kann mir ruhig Zeit lassen… es dauert noch.

Irgendwann ist weit unten so ein grauer Strich auf der blauen Donau zu sehen gewesen, so eine mittellange Gasse und das alles ist größer geworden und der Herr Kapitän Kern blinkte und sirente und mittels Megaphon teilte er mir mit, dass ich springen soll. Unterm Sprung hab ich mich sicher ein bisschen angeschissen – Sprung ist übertrieben – ein weiter Schritt und ich stand am Bug des vorderen Pagen und taumelte balancierend die hundertfünfzig Meter zurück zum Motorschiff mit dem schlichten Namen „Tulln“.

Der Kapitän trug ein bisschen Lametta auf den Schultern, wahrscheinlich wegen meines Photoapparates – aber sonst sah er aus wie vielleicht ein Mesner oder Gynäkologe oder vielleicht wie ein Krankenkassenkontrollor… die Leicht- und Vollmatrosen und der Bootsmann und der erste und einzige Steuermann glichen den vorher erwähnten und der Maschinist trug einen Overall und das einzig ölige an ihm war Hautcreme, weil er erst heute früh nach einem zweiwöchigen Kubaurlaub in Wien gelandet war. Das Schiff bestand aus der Brücke, einer Küche mit eingebautem Schnick-Schnack-Allerlei, dem Maschinenraum und den Kojen, die durchwegs Einzelzimmer und sicherlich drei Sterne in einem x--beliebigen Touristenort erreicht hätten.

Zu Mittag gibt’s einen Eintopf und am Abend ein halbes Grillhendl pro Mann… ich melde mich zum Küchendienst – die Packlsuppe , der Salat, der Reis und das Abwaschen gehört mir. In der Kabine verzichte ich auf das Spätprogramm und genieße das Wummern des Motors und das Knirschen, wenn wir gar zu hohe Sandbbankgipfel überfahren.

Der Kapitän ist stolzer Besitzer eines Vierkanthofes irgendwo in Oberösterreich, der Steuermann ist Nebenerwerbsbiolandwirt –„ohne Viecha, wäu Urlaub woin ma a mochn...“ – der Bootsmann erzählt von der Schwiegertochter und dem Enkerl – die Matrosen sind irgendwo, einer lehnt in der Messe mit dem Game Boy herum.

Ein Rheinkapitän lässt sich für das Donaupatent einschulen und lädt mich zu einer Reise von der Nordsee ins Schwarze Meer ein… eine Reise die hin und zurück so an die acht bis zehn Wochen dauert… je nach Wasserstand…. Leinwand wärs schon… vor allem, was mir die für Gschichtln erzählen – spät am Abend…unglaublich…ob Garn oder nicht… die Gschichtln sind klass… hauptsächlich geht’s dabei um Frauen und da wieder im besonderen um die Huren zwischen Linz und Schwarzem Meer – ein ganz dickes Buch könnte geschrieben werden – von mir … nicht so ein Plätscherbuch von den Donauwellen, das der verdienstvolle Ernst Trost verfasst hat… die Wirklichkeit mit den furchtbaren Arbeitsbedingungen von seinerzeit, die wirklich noch heimatlosen Schiffer, die irgendwann, wenn sie eben nicht mehr konnten, in irgendeinem Loch oder in irgendeiner Gosse versumperten und im Winterhafen auf einen Unterschlupf hofften und ein warmes Essen.

Gschichtln von diesem Waldviertler Kapitän der sich in der Kriegsmarine ein Streifchen erschifft oder ersessen oder sonst wie hat und als Schleppzugskommandant ein Schwein war und angeblich im Winter bei Treibeis im Rausch in die Donau gefallen ist und niemand genaueres wusste und auch niemand gesucht hat…. Gschichtln von früher… das heute ist ganz normaler Alltag… die wirklich gute, neue Zeit...

Die Fahrt auf der Tulln war ein Hammer… das Rangieren im Hafen von Krems, die Manöver vor und in den Schleusen, die Seilwinden, in der Herbstnacht ist Sturm aufgekommen und die Gischt stach auf der Haut und die Scheinwerfer, der Nebel und der Regen und die scheinwerferfahlen Gesichter der jungen Matrosen an den Seilwinden – Helden derArbeit – die Schleuse ist geschafft, die nasse Jacke hängt zum Trocknen im Maschinenraum, man spielt wieder auf dem Game Boy.

Nach sechsundzwanzig Stunden legen wir in Linz an…Kapitän Kern wird von seiner Frau abgeholt, der Steuermann und der Bootsmann fahren mit mir mit dem Zug nach Wien – wir sitzen im Speisewagen und trinken Kaffee und rauchen.



Kanalbrigadist

Als Schreiberling

für die „Solidarität“ bin ich denen, die mich kannten, aufgefallen. Schön wäre es gewesen, wenn ich mich beispielsweise in Stixneusiedl oder Siebenhirten als „Koosz“ bei irgendwem vorgestellt hätte und dieser hätte mich mit der Gewerkschaftszeitung in Verbindung gebracht. Ich habe mich gefreut, dass halt die Handvoll die mich damals kannte und gewerkschaftlich organisiert war, zumindest meine Artikel las und der eine oder andere wegen der einen oder anderen Schreiberei anrief und je nach dem, mir dies oder jenes mitteilte. Der Herr „Hans“ ist noch lange kein Herr „Schani“ , aber auch kein Herr „Jeanee“ (oder so…) – dass letzteres nicht zutrifft, ist überhaupt kein Schade… das Dasein eines „Schanis“ hab mir ohnehin abgestellt – der Herr „Jeanee“ war ich das eine oder andere mal, aber nur um daneben hinzuschreiben, dass ich kein „Schani“ bin…

Der Prof.Bruckner sagte mir einmal, dass so eine Zeitung ein sehr, sehr gefräßiges Tier ist und stets hungrig ist und immer neues Material verschlingen muss, um existieren zu können… Ich habe mich redlich bemüht und wollte auf Polgars Spuren wandeln und meldete mich bei einem gewissen Erich, der für die pr der Wiener Kanalbrigade zuständig war. Der war sofort Feuer und Flamme – eine Führung die sich gewaschen hat, wurde mir versprochen. Und die hat sich gewaschen. Wir haben uns in einer Schwemme in Wien getroffen. Wien-Mitte. Sechs Uhr Dreißig. Erich zog sich zwei Bier und zwei Weinbrand rein – große. Ich war damals auch noch ganz gut drauf – mir wars noch zu früh – vor allem der Weinbrand… ein Wodka wäre vielleicht gegangen… aber so ein scharfer Weinbrand…

Erich erzählte und erzählte. Von irgendwelchen Briefen die er ersteigert hätte – eine
Habsburgerin war mit einem gewissen August, einem Starken, verheiratet und da hat angeblich immer noch Wien geschrieben, dass bei so Gartenfesten zu Hofe die Gäste immer in die Blumenbeete scheissen und sie dann immer in den Scheißdreck steigt… und Erich genoss dieses Wort…. Das „Sch“ klang so voll und rund- das „ei“ so lieblich und frühlingshaft und die „ssssss“ erinnerten stark an das Zischen der Ka aus dem Dschungelbuch in der Disney-Zeichentrickverfilmung…

Erich und ich sind dann bei einem Brigadestützpunkt irgendwo im zweiten Bezirk eingerückt – man hat uns erwartet und mich ohne viel zu fragen, in eine bereitliegende Kanalmontour gesteckt – Hose und Jacke mit Kapuze und Schieberkappe und eben diese berühmten schweren Schaftstiefel deren Stulpe weit über das Knie gezogen werden können. Die Herren setzen mich in einen Lastwagen – wir fuhren zur Praterstraße – alles wegen mir – sie Herren sperrten eine Spur, öffneten einen schweren Schachdeckel und der Partieführer fragte schlicht:“Wos is Blada, trauste owe, in a siebzka Profüü?“ - und ich bin halt runter ober mir war nur mehr ein kleiner heller Punkt – dort wo Wien war… und noch eine Klampfe und noch eine und endlich war ich unten und von oben – weit entfernt – hörte ich, daß ich mir die Stirnlampe aufdrehen soll und links ins Rohr soll… und links war nichts? Doch! Links unten! Dort war was rundes ganz schwarzes - das „siebzka Profüü“ – ein siebzig Zentimeter hohes – niedriges Kanalrohr!!

Der Rohrquerschnitt ist wie ein Ei und feinster Beton – dass halt nix hängen bleibt oder keine Ratten tanzen können…unten im Oval ist der „Bach“ – rechteckig ausgenommen und dort rinnt eben das, was die Leutchen halt so runterlassen …das Birndl meiner Lampe ist schwach – ich seh ein paar Salatblätter schwimmen – ein dunkles Torpedo -hinter mir rauschts… ein weiteres schlägt hinter mir ein… ich habe die Handschuhe vergessen… ich greife ins Nasse rein – mit Armen und Beinen muss ich mich im Oval des „siebzka Profüüs“ verkeilen um nicht in den Bach zu rutschen – Arme und Beine Zittern – ich transpiriere – die Kamera am Riemen schaukelt bedrohlich über dem Bach – ich rutsche mit dem linken Knie ab – ich habe oben noch vergessen, mir die Stulpen hochzuziehen – das mit allerlei aus Wiens Därmen vermische Hochquellenwasser rinnt in den Stiefel – das Licht der Stirnlampe flackert und ist endgültig aus – finsterste Nacht umgibt mich – in der Ferne Spülungsrauschen und Räder, die über Kanaldeckel brausen…

Ein Kollege nimmt mich in Empfang, der hat irgendwo ums Eck auf mich gewartet – schnell ein paar Fotos und nichts wie raus. Wir fahren zurück in die „Kaserne“ – es gibt Bier und Frankfurter und die Herren werden feierlich. Sie verleihen mir ihre Anstecknadel und die Ehrenbrigadistenkrawatte. Ich bin nun, nach dem Durchstieg im „siebzka Profüü“ einer der ihren.

Ich war mehr als fertig. Eine Dusche. Erich feiert bereits mit den Herren meine Ernennung. Wir müssen weiter – die Schusterwerkstätte irgendwo – dort wo die weltweit einzigen Kanalbrigadistenstiefel erzeugt werden – reine Tradition – oder wirklich besser wie wasserdichte Gummistiefel? – egal - Erich feiert meine Ernennung immer noch. Ich muss Erich stützen . Wir müssen noch eine Kläranlage besuchen. Ein Grund zum Feiern. Es ist spätabends. Ich sitz mit Erich in einem Tschocherl und er erzählt mir, daß der Edlinger Rudi ihm den Bau eines „Wiener Kanalmuseums“ abgelehnt hat – weil ihm angeblich fünf Wohnungen mehr wert wären, wie so ein „Scheißmuseum“… Erich ist in Wut geraten und packt mich an der Ehrenkrawatte…Erich muß auf Klo… ich flüchte…