Schattendorf

So nebenbei….

Ganz besonders leinwand find ich das Herumknotzen in Wirtshäusern. Am liebsten sind mir die mit den dunkeln Winkeln von den man aus schweigen oder beobachten oder belauschen oder auch ungestört plaudern und sinnieren kann…. Je finsterer desto lieber… und je älter… und skurriler… eine Ausnahme machen die Endsechziger-Wirtshäuser… beginnendes Dunkelbraun der Siebziger mit im Ton dazu passenden Fliesen und Holz ersetzendes Resopal mit Glasausnehmungen für zur Schau gestellte Chips- und Solettisackerln….

 

Pip war mit mir am Freitag in so einem Wirtshaus. Irgendwie sehr weit weg von Mannersdorf und Bruck. Das Wirtshaus mit umgebender Urbanität liegt in einem – zumindest wirkt es so auf den Besucher – Niemandsland. In einem unzuordenbaren Niemandsland…
Wir waren am Freitag im burgenländischen Schattendorf. Der Ort in Mitteleuropa, im östlichen Österreich gelegen, im ehemaligen Westungarn gelegen – der Ort, indem nicht ein Startschuss fiel – der Ort indem die zwei Startschüsse für den Untergang einer ganzen Generation fielen – die Startschüsse für den Untergang eines Kontinents.

 



Der Aufenthalt in Schattendorf war nicht von langer Dauer. Freitag der 30. Januar…. Ein grauer Tag, wie viele in Ostösterreich – so grau, dass sich selbst der Schnee bleiern wird. Alte Bauernhäuser mit großen Fenstern und Plastikrahmen in dunkelbraun, alte Bauernhäuser mit Eternit, Sonnentore ersetzendes Aluminium in Grau oder in verschiedene Richtung tendierendem Beige.


Dieses und jenes Geschäft, freie Parkplätze, die beim Wirtshaus knapp sind. Die alte Dame ist zu schwerhörig – sie versteht uns nicht, der Herr mit Scheibtruhe zuckt mit den Schultern. Der ungarische Handwerker weist uns den Weg zu Kirche und Friedhof. Vorbei am Heldenmal. Unkommentiert, wie tausendmal dies- und jenseitig der Grenzen. „Unseren Helden“… ob und wie verreckt, ist nicht erleslich... wie eine Klage „in fremder Erde“ – wozu? wieso?

 


ungefragte Klage eines Steinmetzmeisters auf Grund einer Bestellung auf Grund des Zeitgeistes zwischen den Kriegen auf Grund von der Vorbereitung auf den noch nicht benannten „Zweiten“…..

 


Am Friedhof ein wie vergessener Wagen mit allzu bunten Kränzen – verschwenderische Farbpracht im Grau des Friedhofes – im hinteren Bereich zwei Grabarbeiter. Ein älteres Paar besucht ein Grab und stellt eine neue Kerze in die Laterne. Ein Friedhof wie hundert andere auch. Immer wieder die gleichen Namen. Auffällig oft. Unaufgefrischte Verschwägerungen. Die Steine sind nicht protzig, auffällig brav. Schulterschlußsteine. Oftmalig das „gef.“ Wir suchen das Grab von Josef Grössing. Ein Startschußopfer. Das Grab vom Pepi. Das Grab vom Kind Pepi Grössing.

 


Das Grabmal des Kindes ist hinter der Aufbahrungshallte versteckt – einen knappen Meter von den Klosettanlagen für drangleidende Friedhofsbesucher – so knapp, dass manch eiliger im Grabstein ein Freiluftpissoir vermuten könnte.

 


Die Urinspur im frischen, aber trotzdem grauen Schnee ist ein paar Meter weiter vom Grabmal und den Klosettanlagen. Dort, wo wirklich die Gebeine des Kindes Pepi liegen.

 


Unter gewalzter und gepresster Erde, unter einer dicken Asphaltdecke – weggeschlossen und nochmals totgemacht, versiegelt – so wie der Reaktorblock von Tschernobyl… nach vielen, vielen Jahren und nach noch mehr Tragödien hat sich die Gemeinde die Letztplanierung geleistet… eine unnötige Straße über längst verfaulte Kinderknochen…

Im Wirtshaus

Im Extrazimmer findet ein Leichenschmaus statt. In der Schank die Männer. Und eine farblose Wirtin unbestimmbaren Alters. Seltsamste Köpfe. Menschgewordene Messerschmidts. Alkohol- und Nikotinablagerungen. Männer in uniformähnlichen Aufmachungen in Richtung Waidmann – ist es die Stimmung des grauen Tages nach dem Friedhofsbesuch, der mich in die Szene eines frühen Mitterers treten lässt?

 


Die immer wieder gleichen Namen auf den ausgerichteten Steinen – das Ergebnis in der Schank? Eine graue, aber frisch haargefärbte Dame flüchtet sich mit einem halbleeren Weinglas und zwei Töchtern, ebenfalls mit halbleeren Weingläsern zu unserem Tisch, um vom Leichenschmaus auszuspannen und zu rauchen. Die Mädchen glänzen und trinken mit der Mutter jeweils ein weiteres Glas Ribiselwein. Von den Schüssen wissen sie nichts. Damals vor mehr als achtzig Jahren. Die Mädchen grinsen dümmlich. Die Mutter zündet sich eine weitere Zigarette an und zwischen den kurzen Pausen des Hustenanfalles verweist sie auf angebliche Information im Internet. Die Mädchen haben noch nie etwas von den Schattendorfer Schüssen gehört, auch noch nie etwas über das Grab des jungen Pepi Grössing neben dem Aufbahrungshallenklosett. Ich fotografiere.


Die Herren mögen das nicht. Ich dränge zum Aufbruch. Draußen trägt ein Herr aus dem Fleischergeschäft kommend eine weiße Kinderbadewanne mit weißlich-gelblich-blutigem Fleisch…

Das Urteil

Die Todesschützen sind freigesprochen worden. Die Arbeiter von Wien waren aufgebracht und haben vor dem Justizpalast demonstriert. Die Demonstration entglitt den Funktionären und der Justizpalast brannte. Möglicherweise war es die Staatsmacht, die sich den Schandpalast anzünden ließ… vielleicht waren es die aufgebrachten Demonstranten…. Und dann brannte der Justizpalast zu recht...Schandurteil und Schandpalast…

 


Die Mörder…

…waren das Ergebnis ihrer Zeit – sie waren Opfer und ihre Opfer waren das traurige Ergebnis aus Hahnenschwanz und Kaiser und Hochwürden und kaiserlich und strammgestanden und Blut und Erde und Treue und zwei verhängnisvolle Schüsse mit bewährter Hirtenberger Munition… Vier Opfer und vier Opferfamilien und ein Opferdorf und ein Opfergraben der die gesellschaftliche Trennung Österreichs vertiefte und dem Braunauer in weiterer Folge Tür und Tor öffnete.

Die Erben…

…sind stolz auf das neu renovierte Kriegerdenkmal. Vielleicht sind sie stolz auf die gekärcherte Eternitfassade. Vielleicht sind sie stolz auf das abgeschaltete Gästebuch. Oder auf den Gästebuchabschalter. Vielleicht sind die stolz auf ihren Ortsbunker. Sie sind vielleicht stolz über ihr aufrechtes Verhalten im gebückten Zustand im beklemmenden Bunker der Geschichte… Achtzig Jahre nichts dazugelernt und immer noch lebensfähig….

 

Vielleicht ein ganz trauriges und ehrliches Spiegelbild unserer Gesellschaft….???